Kohlenhydrate

Mai 11, 2019 | Allgemein

Was ist nun eigentlich gesund?

Egal wo oder mit wem – jeder hat schon mal in irgendeiner Form über Kohlenhydrate gesprochen oder Empfehlungen gehört wie „Abends keine Kohlenhydrate essen hilft beim Abnehmen“, „Vermeide Nudeln und Kartoffeln, sie machen dick“, „Zucker macht krank“.

Viele haben eine feste Meinung zu dem Thema, es gibt Low-carb-Diäten in den unterschiedlichsten Ausprägungen, von Zuckerfrei bis zum kompletten Verzicht auf alles, was Kohlenhydrate enthält, also neben Süßem, auch auf Brot, Nudeln, Reis, Kartoffeln, süße Früchte etc.

Das kann verwirrend sein und es stellt sich unweigerlich die Frage: Brauchen wir Kohlenhydrate?  Und weiter: Welchen Nutzen haben sie? Für was und wann benötigen wir sie? Gibt es allgemeine Empfehlungen?

Kohlenhydrate gehören zu mehr als nur einer Lebensmittelgruppe

Soviel vorab: Kohlenhydrate gehören zu den Makronährstoffen, so wie Fette und Proteine, aber Kohlenhydrate sind nicht gleich Kohlenhydrate. Zu ihrer Gruppe gehören

  1. Einfache Kohlenhydrate:
  • isolierter und raffinierter Zucker:

→ Haushaltszucker (Saccharose, ein Zweifachzucker aus Glucose und Fructose)

→ Traubenzucker (Glucose, ein Einfachzucker)

→ beide Zuckerarten sind vielen Lebensmitteln und Getränken zugesetzt

  • natürlicher Zucker:

→ Rohrohrzucker, Honig, Dicksäfte, Sirup etc.

→ meist Mischungen aus Glucose, Fructose und anderen Zuckerarten

  • Früchte

→ sie enthalten natürlichen Fruchtzucker (Fructose, ein Einfachzucker)

→ in ihnen stecken auch viele Ballaststoffe und Vitamine

  • Milch- und Milchprodukte enthalten kleine Mengen natürlichen Zucker

→ Milchzucker (Lactose, ein Zweifachzucker)

Früchte und Milchprodukte werden nicht zur Gruppe der Kohlenhydrate gezählt, da sie im Verhältnis zu den anderen Nährstoffen nur wenige Kohlenhydrate enthalten.

  1. Komplexe Kohlenhydrate:
  • alle Getreidesorten und daraus hergestellte Lebensmittel, wie Brot (hell oder Vollkorn), Nudeln, Reis, Haferflocken, Couscous, Bulgur a.
  • Kartoffeln
  • einige Gemüsesorten wie Mais und Süßkartoffeln, Hülsenfrüchte (enthalten zudem viele Ballaststoffe, teilweise Protein und andere Nährstoffe), und Nüsse (enthalten zusätzlich Fett). Diese Lebensmittel werden nicht zu den reinen Kohlenhydraten gezählt.

→ sie alle enthalten Stärke bestehend aus verketteten Glucosemolekülen

Kohlenhydrate haben also viele Gesichter. Sie können als ein einzelnes Molekül vorkommen (Traubenzucker, Fruchtzucker), als Zweifachzucker (Haushaltszucker, Milchzucker) oder komplex zusammengesetzt sein mit vielen zum Teil verzweigten Ketten von einzelnen Zuckermolekülen (Stärke), manchmal in Verbindung mit Ballaststoffen. Wenn wir also von Kohlenhydraten sprechen, müssen wir schon differenzieren und wir sollten vor allem wissen, was Kohlenhydrate im Körper bewirken.

Die Wirkung im Organismus

Kohlenhydrate sind die vom Organismus bevorzugte Energiequelle. Alle komplexen Kohlenhydrate werden bis zur kleinsten Einheit, der Glucose, zerlegt. Sie dient primär der Energiegewinnung aller Zellen. Gehirn, Nervensystem und Herz sind besonders auf Glucose angewiesen.

Was nicht sofort verbraucht wird, wird in Form von Glykogen in Leber und Muskulatur gespeichert. Diese Speicher sind aber sehr klein und dienen der schnellen Bereitstellung von Energie.

Sinken die Spiegel im Blut, wird Glykogen in Glucose umgewandelt und ins Blut ausgeschüttet. Sind die Speicher aufgebraucht, nimmt die mentale und physische Leistung schnell ab. Aufgebrauchte Speicher machen sich durch Schwindel, Schwäche, schnelle Erschöpfung beim Sport, Kreislaufschwäche und Kopfschmerzen bemerkbar.

Normalerweise reichen die Speicher für ca. 24 Stunden ohne große Anstrengung, durch körperliche oder geistige Aktivität werden sie schneller entleert. Bei intensiven Sporteinheiten und nicht ausreichend gefüllten Speichern kann es schon mal zu dem so genannten Hungerast kommen. Dann sind die Glykogenreserven aufgebraucht, die Energiegewinnung kann aber noch nicht sofort aus anderen Quellen gedeckt werden. Durch Training lässt sich aber das Umstellen auf die Fettverbrennung verbessern.

Auch im Beruf, wenn zu wenige Esspausen gemacht werden, kann es zu einer Unterzuckerung kommen. Manche Menschen kommen mit langen Esspausen nur schlecht zureicht. Sie benötigen alle 3-4 Stunden eine kleine Mahlzeit mit einem nicht zu kleinen Anteil an Kohlenhydraten, um fit und leistungsfähig zu sein.

Das passiert, wenn zu viele Kohlenhydrate gegessen werden

Essen wir regelmäßig zu viele Kohlenhydrate und sind alle Speicher stets gut gefüllt, wird der Überschuss an Energie in Fett umgewandelt und in den Fettdepots gespeichert. Das passiert immer dann, wenn wir generell mehr Kalorien aufnehmen, als wir verbrauchen, also auch, wenn wir zu viel Fett essen.

Der Körper ist auch in der Lage Fette in Kohlenhydrate umzuwandeln, z. B. beim Sport, wenn die Glykogenspeicher leer sind oder generell sehr wenige Kohlenhydrate gegessen werden. Die Gesamtenergiebilanz ist aber entscheidend! Wenn statt Kohlenhydraten sehr viele Fette gegessen werden, kann man ebenso gut zu viel Kalorien aufnehmen. Und ein Zuviel an Energie wird immer in Form von Fett im Fettgewebe gespeichert. Die Gesamtenergiebilanz ist also entscheidend – Energieaufnahme und Energieverbrauch müssen im Gleichgewicht sein, um nicht zu- oder abzunehmen.

Die Bilanz hängt davon ab, wie viel wir essen UND wie viel wir uns bewegen

Je aktiver wir sind, desto mehr Kohlenhydrate werden zur Energiegewinnung benötigt. Die Speicher werden immer wieder entleert, und müssen auch wieder gefüllt werden. Energieüberschuss kommt so im Idealfall nicht vor. Wer regelmäßig trainiert, benötigt also mehr Kohlenhydrate, natürlich ist dies abhängig von der Intensität der Bewegungseinheiten! Der Schlüssel zum richtigen Umgang mit Kohlenhydraten ist also, die Zufuhr, an die Aktivität des Tages zu koppeln.

Die unterschiedliche Wirkung auf den Blutzuckerspiegel

Einfache Kohlenhydrate werden allgemein als schlecht bezeichnet, weil sie den Blutzuckerspiegel stark ansteigen lassen. Komplexe Kohlenhydrate gelten als gesünder, da sie erst in Glucose gespalten werden müssen und dadurch einen geringeren Anstieg bewirken. Man versucht schon lange die Wirkung der Kohlenhydrate auf den Blutzuckerspiegel zu bewerten. Bisher mithilfe des Glykämischen Index (GI) einzelner Lebensmittel. Sie werden von 0 bis 100 (steht für reine Glucose) danach eingeteilt, wie schnell sie den Blutzuckerspiegel ansteigen lassen. Je höher der Wert, desto schneller ist der Zucker des Lebensmittels im Blut. Traubenzucker benötigt die geringste Zeit. Bei stärkehaltigen Lebensmitteln dauert es nur etwas länger.

Der Anstieg des Blutzuckers hängt also mit der Größe der Moleküle zusammen, aber auch sehr deutlich damit, ob noch andere Komponenten bei dem Lebensmittel dabei sind – Ballaststoffe, Fette und Proteine.

Deshalb bewirken Nüsse und Hülsenfrüchte einen geringeren Anstieg, da sie Ballaststoffe, Protein und Nüsse auch noch Fette enthalten. Auch Vollkornprodukte, Gemüse und Obst haben einen geringen GI durch viele Ballaststoffe. Süßigkeiten, süße Getränke und stärkehaltige Lebensmittel (helles Brot, Nudeln und Reis) haben einen hohen GI.

Ein weiterer Faktor ist der Verarbeitungsgrad. So hat zum Beispiel der Apfel (enthält Ballaststoffe) einen wesentlich geringeren Effekt auf den Blutzuckerspiegel als das Apfelmus oder gar der Apfelsaft (keine Ballaststoffe mehr).

Auch der Reifegrad spielt eine Rolle. Bei der Banane enthält die grüne Variante noch mehr komplexe Kohlenhydrate, in der reifen Banane sind diese bereits zu Zucker abgebaut.

Mittlerweile weiß man aber auch, dass die Bewertung nach dem Glykämischen Index eines einzelnen Lebensmittels zu kurz greift und es mehr Sinn macht die komplette Mahlzeit zu betrachten. Denn wird bspw. zu einer Scheibe Brot zusätzlich Käse, Quark, Butter oder ein anderes Lebensmittel mit Fett und Protein gegessen, verringert sich die Blutzuckerwirkung des kohlenhydratreichen Lebensmittels. Wir essen ja ohnehin keine isolierten Lebensmittel, sondern immer eine Mischung.

Ballaststoffe, Fette und Proteine verzögern die Verdauung und Resorption der Nährstoffe und bewirken damit einen langsameren und geringeren Zuckeranstieg im Blut. Die Glykämische Last einer Mahlzeit ist also entscheidend.

Besonders für Diabetiker ist dieser Zusammenhang von Bedeutung, aber auch für Menschen, die abnehmen möchten. Sie sollten auf Lebensmittel und Zusammenstellungen achten, die den Blutzuckerspiegel nicht zu stark ansteigen lassen. Denn hohe Insulinspiegel verhindern die Fettverbrennung, belasten die Bauchspeicheldrüse und führen dauerhaft zu einer Insulinresistenz mit weitreichenden Folgen für den Stoffwechsel.

Anders sieht es für Sportler aus. Zur besseren Leistungsfähigkeit und Regeneration kurz vor oder während des Trainings ist es für sie ratsam Lebensmittel mit hohem GI zuzuführen, also eine reife Banane, ein Fruchtriegel o. ä.

Zur optimalen Vorbereitung aufs Training empfiehlt es sich auf ballaststoffreiche Lebensmittel zu setzen. Brauner Reis, Vollkornbrot, Hülsenfrüchte – 2-4 Stunden vor dem Training liefern nachhaltige Energie und sorgen für länger anhaltende Leistungsfähigkeit.

Die Qualität macht den Unterschied

Kohlenhydratreiche Lebensmittel können mehr sein als nur Energielieferanten. Das aber hängt von der Qualität ab. Besonders viele Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe sind in Vollkorn (Vollkornbrot, brauner Reis, Vollkornnudeln, Kartoffeln), Hülsenfrüchten (Bohnen, Linsen, Erbsen), Gemüse und Obst. Deshalb ist es gut, Kohlenhydrate zum größten Teil durch diese Lebensmittel aufzunehmen.

Keinen wirklichen Nährstoffnutzen bringen hingegen alle Lebensmittel mit einfachen, isolierten Kohlenhydraten (Haushaltszucker, Traubenzucker), wie Süßigkeiten, süße Getränke, gezuckerte Frühstücks-Cerealien, gesüßte Milchprodukte, Kuchen und Kekse, helle Brote und Brötchen etc. Es macht Sinn diese Lebensmittel nur in kleinen Mengen zu genießen und auf die Verpackungen zu schauen, denn häufig ist Zucker zugesetzt, wo wir es nicht unbedingt erwarten.

Auch der als „gesund“ geltende Fruchtzucker ist häufig zugesetzt, wirklich gesund ist er in großen Mengen jedoch nicht. Er wird anders verstoffwechselt als Glucose und kann bei empfindlichen Menschen zu Verdauungsbeschwerden führen. In großen Mengen fördert er sogar die Entstehung einer Fettleber. Im natürlichen Verbund in Obst hingegen, indem noch viele andere Nährstoffe und Ballaststoffe enthalten sind, ist diese Wirkung nicht zu befürchten, weil wir davon keine übermäßigen Mengen essen können. Anders ist dies bei süßen Getränken (auch Frucht-Smoothies oder Fruchtsäften). Von ihnen ist es schon möglich zu große Mengen zu konsumieren.

Es gibt also einen sehr großen Unterschied zwischen kohlenhydratreichen Lebensmitteln, die viele Nährstoffe und Ballaststoffen enthalten und in denen Kohlenhydrate im natürlichen Verbund vorkommen und solchen, bei denen dies nicht der Fall ist. Es macht also einen Unterschied, ob wir das Stück Obst oder den Softdrink wählen.

Was ist nun von Low-carb zu halten?

Zunächst einmal: es macht wenig Sinn, eine ganze Nährstoffgruppe zu dämonisieren. Extreme Formen von Low-Carb-Diäten bei denen auf alles verzichtet wird, was Kohlenhydrate enthält, sind für die meisten Menschen nicht lange umsetzbar. Vor allem nehmen sie dann meist zu wenig Ballaststoffe auf, was sich dauerhaft ungünstig auf die Verdauungsorgane auswirkt. Es kann zu Verstopfungen und zu einem schlechten Mikrobiom (Bakterienvielfalt im Darm) führen, was vielfältige negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Empfohlen werden 30 g Ballaststoffe pro Tag. Diesen Richtwert erreichen ohnehin noch zu wenige Menschen. Wer Getreide komplett meidet, läuft außerdem Gefahr, einen Mangel an B-Vitaminen und Zink zu bekommen. Der Bedarf muss dann über einen höheren Verzehr an Gemüse, Hülsenfrüchte und Nüsse gedeckt werden.

Raffinierten Zucker und zugesetzte Fructose einzuschränken, ist hingegen eine gute Idee. Denn zu viel Zucker, der nicht zur Energiegewinnung gebraucht wird, macht tatsächlich auf die Dauer krank. Er muss aber nicht komplett gemieden werden. Sich ab und zu etwas Süßes gönnen ist durchaus in Ordnung, solange es in die Energiebilanz passt und genug hochwertige Lebensmittel gegessen werden.

Genauso wenig dauerhaft umsetzbar und ungesund sind extreme Formen von Low-Fat-Diäten oder High-Protein. Wenn man langfristig etwas erreichen will, sei es Gewichtsverlust oder die Verbesserung der Gesundheit, dann ist entscheidend, was man dauerhaft umsetzen kann, was die beste Nährstoffversorgung bietet, was an den eigenen Kalorienbedarf und den Stoffwechseltypus angepasst ist. Kurzfristige Interventionen bringen kaum Nutzen, sind oft einseitig und schwer in den Alltag zu integrieren!

Wer mehr Input benötigt, über die richtigen Mengenverhältnisse, die Qualität der Kohlenhydrate und den Besonderheiten bei Erkrankungen oder bei sportlicher Aktivität, der kann sich bei mir individuell beraten lassen.

Denn die EINE Empfehlung für ALLE gibt es nicht – auch nicht bei den Kohlenhydraten!